Dienstag, 19 März 2024

KEINE ANGST VOR MAMMUTPROJEKTEN

Fast alle Städte im Sauerland weisen eine interessante Historie und geschichtliche Besonderheiten auf. In Balve allerdings lohnt es sich, noch etwas weiter zurückzublicken als anderswo.

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Ge­nau genom­men so­gar viel weit­er, denn mit der Balver Höh­le be­her­bergt die Stadt ei­nen der wichtig­sten Fund­plätze der Kul­turen der mittleren Alt­steinzeit in Eu­ro­pa. Fos­silien, eiszeitliche Tier­knochen sowie steinzeitliche Werkzeuge und Waf­fen lie­fern bis heute im­mer wied­er neue Erken­nt­nisse über frühere Leben­swel­ten. Un­ter an­derem sind bei Grabun­gen in der of­fe­nen Hal­len­höh­le Skelette von Mam­mut und Höh­len­bär sowie et­wa 40.000 Arte­fakte ge­fun­den wor­den. Da­run­ter auch der dritt­größte Stoßzahn der Welt mit Abmes­sun­gen von über vi­er Me­tern. Auch Skelet­treste vom Men­schen wur­den in der Höh­le ent­deckt. Ein Frag­ment, das auf ein Al­ter von 10.400 Jahren datiert wurde, gilt als ein­er der äl­testen Nach­weise von mod­er­nen Men­schen in West­falen.

Erst viel später ent­s­tand freilich die kleine An­sied­lung an den Ufern der Hönne, aus der sch­ließlich Balve wurde. Im Jahr 864 er­st­mals er­wäh­nt, en­twick­elte sich aus ver­streuten Höfen eine Klein­s­tadt, die in der Zeit ihres Beste­hens drei­mal durch Brände zer­stört und wied­er aufge­baut wurde. Eines der weni­gen Häus­er, das diese Ka­tas­tro­phen über­s­tand, ist die Alte Vikarie St. Niko­lai, ein Fach­w­erkhaus am Kirch­platz. Aus den Jahren 1835 bis 1854 stammt eine weitere wichtige Se­hen­swürdigkeit: die Luisen­hütte. Als einzige Ho­chofe­nan­lage dies­er frühen Art in Mit­teleu­ro­pa fungiert sie heute als tech­nisch­es Kul­tur­denk­mal.

Jähr­lich­es Spitzen­s­port-Event

„Die Be­son­der­heit­en der Stadt Balve sind ganz klar die Balver Höh­le als äl­teste Kul­turhöh­le Eu­ro­pas, das ro­manische Erbe in der Kirche St. Bla­sius Balve, die Luisen­hütte und das Schloss Wock­lum, aber auch die Reck­en­höh­le“, schildert Stephanie Kißmer, Geschäfts­führerin des Balver Stadt­mar­ket­ings. Die vor­mals kleine Stadt ist seit der Ge­bi­et­s­re­form im Jahr 1975 weit über die ur­sprünglichen Stadt­grenzen hi­naus gewach­sen und bein­hal­tet heute die Ort­steile Beck­um, Eis­born, Gar­beck, Mellen, Lan­gen­holthausen und Volkring­hausen. Der größte Ort­steil um die La­gen Wock­lum und Sans­sou­ci zählt et­wa 5.260 Ein­woh­n­er. Der klein­städtisch geprägte Haup­tort beste­ht aus dem his­torischen Zen­trum sowie den an­grenzen­den Sied­lun­gen, während sich ein Großteil der Gewer­be­be­triebe am nördlichen Stadtein­gang an­ge­siedelt hat. Der Stadtk­ern mit vielen al­ten Ge­bäu­den in Fach­w­erk- oder Bruch­stein­bauweise zeigt sich beschaulich und über­sichtlich; her­aus­ra­gend im wahrsten Sinne des Wortes ist lediglich die Pfar­rkirche St. Bla­sius mit ihr­er ne­oro­manischen Ok­to­gonkup­pel. 

Auf­grund der reizvollen umgeben­den Land­schaft und dem na­he gele­ge­nen Sor­pe­see ist Balve ein be­währtes Na­her­hol­ungsziel, das vor allem Tages­gäste aus den näher gele­ge­nen Städten wie Ha­gen und dem Ruhrge­bi­et an­lockt. Ein­mal im Jahr er­weist sich die kleine Stadt je­doch als Mag­net für Pfer­de­s­port­fre­unde aus ganz Deutsch­land und darüber hi­naus: Das in­ter­na­tio­nale Reit­turni­er Balve Op­ti­mum ist ein wichtiger Ter­min für die besten Spring- und Dres­sur­reit­er der Welt und zie­ht als echt­es Spitzen­s­port-Event jähr­lich bis zu 20.000 Be­such­er an. Eine ähn­liche Be­sucherzahl er­reicht in­zwischen auch die jähr­liche „Land­par­tie“, eine Freiluft-Ausstel­lung, bei der vielfältige Pro­dukte mit Bezug zum ländlichen Leben präsen­tiert wer­den. Beide Ve­r­an­s­tal­tun­gen fin­d­en auf der An­lage des Barockschloss­es Wock­lum statt, das et­wa zwei Kilome­ter nordöstlich der Stadt im idyl­lischen Or­le­tal liegt und sich im Be­sitz der gräflichen Fam­i­lie von Lands­berg-Velen befin­d­et. Sie be­trieb sein­erzeit auch die Luisen­hütte, die nur wenige Minuten Fußweg vom Schloss ent­fer­nt ist. 

Wo der Ho­chofen glüht

Die lie­bevoll res­tau­ri­erte An­lage fungiert heute als Er­leb­nis­mu­se­um, das die Pro­duk­tion von Eisen und die Weit­er­verar­bei­tung zu Gusspro­duk­ten ve­r­an­schaulicht. Schubkar­ren voller Eisen­erz, Holzkoh­le und Kalk­stein er­warten den Be­such­er, den Ho­chofen müssen die Gäste allerd­ings nicht selbst be­füllen: Ein his­torisch­er Ton­film zeigt, wie die Hüt­tenknechte diese an­stren­gende Tätigkeit einst ver­richteten. 

Auch der Ab­s­tich des Ro­heisens wird mit ein­er Lichtin­sze­nierung und Hitzes­trah­lern si­muliert, während das Wasser­rad und die Dampf­mas­chine im Ge­bläse­haus noch ganz re­al funk­tionieren. Beim jähr­lichen Fes­ti­val „Luise heizt ein“ sind darüber hi­naus noch Bands und Per­for­mances dazu zu bes­tau­nen.

Wer noch weit­er in die Geschichte ein­tauchen will, muss wiederum nur wenige Schritte ge­hen: Im ehe­ma­li­gen Wock­lumer Stab­ham­mer neben der Luisen­hütte lädt das Mu­se­um für Vor- und Frühgeschichte der Stadt Balve zu ein­er Zeitreise durch 400 Mil­lio­nen Jahre ein. Un­ter dem Mot­to „Erd­schätze – Men­schen­spuren“ gibt das Mu­se­um Ein­blicke in die ab­wech­s­lungs­reiche Na­tur- und Men­sch­heits­geschichte des Hön­ne­tals – vom De­vonzei­tal­ter, als Balve noch im tropischen Flach­meer lag, bis zur Eisen­erzeu­gung im Mit­te­lal­ter. 

Schloss­geschicht­en

Das barocke Wasser­schloss Wock­lum wird von der Fam­i­lie von Lands­berg-Velen be­woh­nt und ist für die Öf­fentlichkeit nicht zugänglich. Für aus­gewählte Events wie Konz­erte, Ausstel­lun­gen, Hochzeit­en oder auch Film­pro­duk­tio­nen öff­nen die Be­sitz­er je­doch zuweilen ihre pri­vat­en Räume. Der alt­fränkische Ur­sprung des Wasser­schloss­es ist bis heute durch die Reste ein­er säch­sischen Wall­burg erkenn­bar. Im Jahre 1646 er­warb Di­et­rich Frei­herr von Lands­berg den Pracht­bau, der im Laufe der Zeit mehr­fach umge­baut wurde – un­ter an­derem ges­tal­tete dabei ein Kun­st­maler ei­nen fast 40 Me­ter lan­gen Flur. Da Schloss Wock­lum den Zweit­en Weltkrieg unbeschadet über­s­tan­den hat, ist das kost­bare In­terieur im Orig­i­nalzu­s­tand er­hal­ten. Eine be­son­dere Präsen­ta­tion er­fährt die An­lage vom 15. bis zum 30. Jan­uar: Im Rah­men der „Wock­lumer Schloss­lichter“ wer­den das Ge­bäude und der ma­lerische Schloss­park mit aufwendi­gen Farb­spielen und Licht­pro­jek­tio­nen in­sze­niert. Dazu gibt es ein ab­wech­s­lungs­reich­es Rah­men­pro­gramm: Bei stim­mungsvoller klas­sisch­er Musik erwacht die ein­stige hö­fische At­mo­sphäre zu neuem Leben. 

Blick nach vorn

Natür­lich kann und will auch Balve nicht nur in der Ver­gan­gen­heit leben. „Wie in an­deren Städten auch hat sich die Stadt­en­twick­lung dem Wett­be­werbs­druck zu stel­len“, schildert Stephanie Kißmer. „Die Schär­fung des ei­ge­nen Pro­fils und die weitere Aus­rich­tung der Marke Balve er­fordert im­mer wied­er neue Ideen.“ Eine ziem­lich gute war es, die Mam­muts nach Balve zurück­kehren zu lassen – und zwar nicht nur als Druck­mo­tiv auf Brief­bö­gen oder Plakat­en, son­dern in plas­tisch­er Form. Die form­schöne Skulp­tur, die in­zwischen in 40-fach­er Aus­führung im Stadt­ge­bi­et verteilt die Blicke auf sich zie­ht, fungiert als Maskottchen und Stadt­marke zu­gleich. Waren die Tiere bei ihr­er Ankunft im Som­mer 2011 noch alle weiß, ist mittler­weile eine bunte Viel­falt ent­s­tan­den, die das Balver Stadt­bild bereichert. Viele ort­san­säs­sige Un­terneh­men, aber auch Pri­vat­per­so­n­en haben ihre Mam­muts mit viel Liebe und Krea­tiv­ität ges­tal­tet. 

Um weitere Per­spek­tiv­en für die Zukunft zu en­twick­eln, wurde bere­its 2013 ein Bürg­er­fo­rum in Balve ini­tiiert, um Stärken und Sch­wächen des Stan­dorts zu disku­tieren. Dabei stellte sich her­aus, dass die Balver vor allem die in­takte Nach­barschaft und das rege Vereinsleben in ihr­er Stadt schätzen – man ken­nt sich eben. Auch Einzel­han­del­sange­bote, die Grund­ver­sor­gung mit sozialen Ein­rich­tun­gen und die medizinische Ver­sor­gung sch­nit­ten weit­ge­hend gut ab. Kri­tisch sa­hen die Teil­neh­mer hinge­gen den Zu­s­tand der In­nen­s­tadt: Zu wenig Aufen­thalt­squal­ität, zu viel Leer­s­tand, ein zu geringes Einzel­han­dels- und Di­en­stleis­tungsange­bot – daran soll gear­beit­et wer­den, damit Balve auch in 20 Jahren noch leben­sw­ert ist. Die in­ten­sive Beteili­gung an den Ve­r­an­s­tal­tun­gen und die zahl­reich einge­bracht­en Ideen und Vorsch­läge zeu­gen von einem großen In­teresse der Balver an ihr­er Stadt. Die von Dia­log und Mitwirkung geprägte At­mo­sphäre zeigt sich auch an an­der­er Stelle: „Auch Balve hat die aktuellen poli­tischen Si­t­u­a­tio­nen aufz­u­fan­gen und kann dabei auf die Mi­tar­beit von vielen ehre­namtlichen Helfern zählen. Das Wirken ist von einem ‚Wir-Ge­danken‘ geprägt und funk­tioniert“, freut sich Stephanie Kißmer.