Freitag, 29 März 2024

Gestärkt aus Krisen hervorgehen

Die Relevanz von Resilienz

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(Foto: © lassedesignen – stock.adobe.com)

Manche Menschen wirft scheinbar nichts aus der Bahn. Selbst schwierigste Lebenssituationen sind für sie kein Problem, vielmehr scheinen sie daran noch zu wachsen. Was diese Menschen von denjenigen unterscheidet, die mit ihrem Schicksal hadern und mitunter sogar daran zerbrechen, ist ihre innere Widerstandskraft: ihre Resilienz. Und die kann man trainieren und damit stärken.  

 

„Mitten im Winter erfuhr ich endlich, dass in mir ein unvergänglicher, unbesiegbarer Sommer ist.“ Dieser immer wieder gerne zitierte Satz des franzö­sischen Schriftstellers Albert Camus beschreibt auf sehr poetische Weise, dass es sehr stark von unserer inneren Haltung abhängt, wie wir mit den Herausforderungen des täglichen Lebens umgehen und in welchem Maße sie unsere seelische
Gesundheit beeinflussen. Die Psychologie verwendet dafür die Bezeichnung Resilienz – ein Begriff, der ursprünglich aus der Werkstoffphysik stammt. Danach gelten Materialien als resilient, die wie zum Beispiel Gummi auch nach Momenten extremer Spannung respektive Deformation wieder in ihre ursprüngliche Form zurückkehren. Der Begriff leitet sich aus dem lateinischen Wort „resilire“ = abprallen ab. Daran angelehnt, bezeichnet Resilienz die Stärke, mit Krisensituationen so umzugehen, dass wir schnell wieder auf die Beine kommen.

 

Resilienz gilt deshalb auch als wahre Wunderwaffe im Kampf gegen stressbedingte psychische Störungen. Denn wer Herausforderungen erfolgreich meistert, wird auch in Zukunft ähnliche Situationen besser bewältigen können. Psychologen, Neurowissenschaftler und Mediziner arbeiten zum Beispiel am Leibniz-Institut für Resilienzforschung (LIR) in Mainz schon seit Jahren mit Hochdruck daran, dem Geheimnis der Resilienz auf die Spur zu kommen und daraus wirksame Präventionsmaßnahmen zur Vorbeugung seelischer Krisen abzuleiten. Die entscheidende Frage dabei lautet, welche Prozesse festlegen, wie das Gehirn eine bestimmte Situation oder einen bestimmten Reiz bewertet. Diese Entwicklung ist noch gar nicht so alt. Denn lange Zeit hat sich die klinische Forschung in Psychiatrie und Psycho­therapie stark an den Krankheitsbildern orientiert und sich weniger um die Prävention gekümmert.

 

Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen oder Sucht haben aber häufig lange Vorlaufzeiten, in denen chronische Stresssituationen oder kritische Lebensereignisse die seelische Belastbarkeit der Betroffenen Stück für Stück aushöhlen. Hier könnte ein präventives Resilienztraining frühzeitig ansetzen und die Entwicklung einer Krankheit im Keim ersticken. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch das Thema Resilienz im Arbeitsleben, da hier die Gefahr besteht, durch ständige Überforderung in einen Teufelskreis aus chronischem Stress und der damit verbundenen Gefahr einer psychischen Erkrankung zu geraten. Mehr denn je sind Unternehmen daher gefordert, für gesunde Arbeitsbedingungen und positive Umweltfaktoren zu sorgen.

 

In diesem Zusammenhang hat sich speziell das LIR als europaweit erstes Zentrum seiner Art der Aufgabe verschrieben, mit seinen Aktivitäten in der Forschung und seinen wissenschaftsbasierten Dienstleistungen zum Erhalt der Gesundheit in der Bevölkerung beizutragen. Entsprechend dem Motto „theoria cum praxi“ stellt das LIR seine wissenschaftlichen Erkenntnisse in Form von Vorträgen und Workshops zum Beispiel in Betrieben, Schulen und anderen öffentlichen Institutionen vor. Erfolgreich etabliert wurde außerdem eine „Resilienz-Ambulanz“.

 

Globale Familien-Studie von Land Rover
Um die persönliche Widerstandskraft zu stärken, sind enge persönliche Bindungen und Lust auf Neues, Entdeckergeist sowie Wissensdurst absolute Schlüsselelemente. Zu diesem Ergebnis kommt „Project Discovery“ – ein internationales Forschungsprojekt, das im Auftrag des britischen Geländewagenherstellers Land Rover die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf Familien untersucht hat. Beteiligt waren 7.000 Befragte, darunter 1.000 aus Deutschland. Mit der Studie sollte herausgefunden werden, welche Verhaltensweisen zur Steigerung dieser Resilienz beitragen. Sir Cary ­Cooper, Professor für Organisations­psychologie und Gesundheit an der MBS Universität von Manchester, sagt:

 

„Resilienz kann mit der Zeit erlernt und entwickelt werden. Project Discovery zeigt uns, wie sich wirklich widerstandsfähige Menschen verhalten. Diese Erkenntnisse offenbaren uns, wie wenige und vergleichsweise einfache Änderungen des Lebensstils unsere Fähigkeit verbessern, Schwierigkeiten jetzt und in Zukunft überwinden zu können.“ Gefestigte Beziehungen in einer eng verbundenen Gruppe von Freunden und Familien, ein Drang, neue Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben sowie der Wunsch, Umfeld und Umwelt zu erkunden und zu verstehen: Das sind die Schlüsselmerkmale jener Teilnehmer an der multinationalen Studie, die die höchsten Resilienzwerte aufweisen.

 

Deutschland als Land mit dem höchsten Resilienz-Anteil
Die aus Deutschland stammenden Teilnehmer an der Studie Project Discovery wiesen unter allen Ländern mit neun Prozent den höchsten Anteil an Menschen mit hoher Resilienz auf. Mehr als die Hälfte dieser Befragten haben während der Pandemie ein neues Hobby aufgenommen. Die Fähigkeit, mit herausfordernden Situationen zurechtzukommen, kann im Lauf der Zeit entwickelt werden. Dazu passt die Erkenntnis, dass die Gruppe der über 54-Jährigen doppelt so viele Hochresiliente aufweist wie die 18- bis 24-Jährigen.
Ein Schlüsselfaktor ist durchweg die Bedeutung der Familie. Mehr als die Hälfte der Hochresilienten räumt der Zeit mit der Familie Vorrang vor allem anderen ein – 44 Prozent mehr als bei Menschen mit geringer Resilienz. Ein ähnlich hoher Anteil betont, dass er Gefallen daran ­findet, neue Orte zu entdecken, während es 72 Prozent der Befragten mit hoher Resilienz Spaß macht, Neues zu erlernen – 41 Prozent mehr als bei Menschen mit niedrigen Resilienzwerten.

 

Landesweite Lockdowns und soziale Restriktionen haben in aller Welt Gemeinschaften dazu gezwungen, sich zu ändern und anzupassen. So gaben 73 Prozent der Teilnehmenden an „Project Discovery“ an, seit Beginn der Covid-19-Pandemie eine neue Freizeitbeschäftigung, ein Trainingsprogramm, ein neues Hobby oder eine neue Gewohnheit aufgenommen zu haben. Die Befragten mit den niedrigsten Resilienzwerten waren am ehesten bereit, eine neue Aktivität zu starten. Dies deutet darauf hin, dass diese Menschen ihr Leben bewusst ändern wollen, um die Lage zu meistern. Mehr als die Hälfte der Teilnehmenden (56 Prozent) gab an, dass sie sich seit Beginn der Pandemie stärker um ihre psychische Gesundheit kümmern. Sogar 93 Prozent der Teilnehmer wollen eine im vergangenen Jahr begonnene neue Aktivität auch 2021 fortsetzen.

 

Wie lässt sich Resilienz stärken?
Die Analyse der Resultate von „Project Discovery“ bringt laut Prof. Cooper mehrere Empfehlungen, um Selbstvertrauen und Resilienz zu stärken: Pflegen Sie starke Bindungen – planen Sie regelmäßige Treffen mit Freunden oder Kollegen und integrieren Sie in Ihren Tagesplan feste Zeiten für die Familie. Setzen Sie sich ­Ziele und Vorgaben, um Ihre Motivation hochzuhalten – das kann von einem großen Heimwerkerprojekt bis zum Vorsatz reichen, jede Woche ein neues Rezept auszuprobieren.

 

Bewegen Sie sich regelmäßig – eine für Sie passende physische Herausforderung trainiert Körper und Geist, außerdem verschafft es Ihnen einen Grund, nach draußen zu gehen. In den Ergebnissen der Studie ragen drei Schlüsselelemente beziehungsweise Verhaltensweisen heraus, die Menschen mit hohen Resilienzwerten gemeinsam haben. Daraus leitet Land Rover eine Formel für Resilienz ab: R = 2F + EwP + SD. Die Kürzel stehen dabei für: R = Resilienz, 2F = Friends & Family (Freunde und Familie), EwP = Enrichment with Purpose (Bereicherung mit Sinn), SD = Spirit of Discovery (Entdeckergeist).

 

Wie Unternehmen und Organisationen sich in Zukunft besser auf Krisen und Schocks vorbereiten können
Durch die COVID-19-Pandemie ist der ­Resilienz-Begriff auch verstärkt in den Blickpunkt der Wirtschaft gerückt. Wie lassen sich extreme Herausforderungen und Krisen meistern? Und was könnte man aus der aktuellen Situation für die Bewältigung künftiger Krisen lernen? Fraunhofer-Forschende haben zu diesem Zweck unter dem Titel „Resilienz von ­Organisationen, Infrastrukturen und anderen komplexen Systemen“ im März 2021 ein von ihnen entwickeltes anwendungsorientiertes Konzept vorgestellt.

 

Es bietet eine systemisch orientierte Betrachtung und zeigt praxisnah Lösungswege für Entscheidungsträger aus Staat, Wirtschaft und Politik auf, um best­möglich für künftige Krisen gewappnet zu sein. „Souveränität und Resilienz in zentralen, strategisch wichtigen Tech­nologiebereichen sind essenzielle Eckpfeiler, um die Versorgung mit wichtigen Gütern, die Stabilität von Lieferketten und damit die Innovationsfähigkeit deutscher Unternehmen zu sichern“, erklärt Fraunhofer-Präsident Prof. Reimund Neugebauer.

 

Voraussetzungen für ein auch langfristig erfolgreiches Resilienz-Konzept sind aus Sicht der Autorinnen und Autoren der Studie drei wesentliche Kompetenzen. Erstens müssen Organisationen oder Unternehmen in der Lage sein, schnell und agil auf Störereignisse zu reagieren. Zweitens sollten sie Warnzeichen oder Indikatoren für das Aufziehen von Krisen frühzeitig erkennen und schnell Gegenmaßnahmen einleiten. Und drittens ist es entscheidend, kontinuierlich aus Krisen zu lernen und diese Erkenntnisse in innovative Maßnahmen und dynamische Strukturen zu verwandeln.

 

Transformationsprozesse aktiv gestalten
Entwicklungen wie Digitalisierung und Energiewende spielen dabei eine wichtige Rolle. „Diese tiefgreifenden Transformationsprozesse müssen wir aktiv gestalten und dabei die Resilienz von Anfang an mitdenken“, betont Prof. Jakob Edler vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI, einer der Autoren der Studie. Gerade die Digitalisierung erhöhe die Komplexität der Systeme und damit die Gefahr von Störungen. Durch Kaskadeneffekte könnten aus begrenzten regionalen Störfällen ernste systemische Bedrohungen werden.


Um dies zu verhindern, fordert das Fraunhofer-Konzept ein tiefgehendes und ganzheitliches Verständnis der eigenen Strukturen. Das gilt für Unternehmen ebenso wie für Behörden oder Einrichtungen der lebenswichtigen Bereiche wie Gesundheitswesen, Energie- und Wasserversorgung. Erst eine tiefe Analyse aller Strukturen und Arbeitsabläufe bringt die verborgenen Schwachstellen und Risiken an den Tag. Entscheidend dabei: Die technische Betrachtung allein genügt nicht. Eine nachhaltige, systemische Resilienz berücksichtigt immer auch den menschlichen Faktor.

 

Die Technik muss robust und die Mitarbeitenden müssen auf Störfälle vorbereitet sein. „Wir nutzen systemische Ansätze, um die Resilienz sowohl von einzelnen Organisationen als auch beispielsweise von komplexen Lieferketten und ganzen Volkswirtschaften holistisch zu betrachten. Die Erkenntnisse daraus tragen zu deren Stärkung bei“, erklärt Dr. Florian Roth, Projektleiter am Fraunhofer ISI.

 

Bessere Resilienz – bessere Wettbewerbsfähigkeit
Nach Überzeugung der Forscherinnen und Forscher zahlen sich Investitionen in Resilienz auch ökonomisch aus. Unternehmen, die proaktiv und flexibel agieren, meistern nicht nur Krisen viel besser. Eine hohe ­Resilienz zahlt sich im Business-Alltag aus, weil sie Geschäftsprozesse flexibilisiert und die Fähigkeit zu Innovationen stärkt. „Politik und Wirtschaft haben mittler-weile erkannt, dass Resilienz ein zentrales Element der strategischen Planung sein muss. Wer jetzt schnell und entschlossen Prozesse und Infrastrukturen resilient gestaltet, der hat auch klare Wettbewerbs­vorteile“, sagt Prof. Stefan Hiermaier vom Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik, Ernst-Mach-Institut, EMI.

 

Von dieser Einsicht können auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) profitieren. Extra für diese haben Fraunhofer-­Forschende das kostenlose Online-Tool „Fraunhofer Resilience Evaluator“ ent­wickelt. Unternehmen können mithilfe eines webbasierten, interaktiven Fragebogens ihre Resilienz-Fähigkeiten er­fassen, analysieren und visualisieren. Auf dieser Basis lassen sich konkrete technische oder organisatorische Maßnahmen entwickeln, um die Resilienz weiter zu verbessern.

 

Buchtipp: Resilienz – Was die Wissenschaft dazu sagt
Resilienz ist das Zauberwort der Stunde: In unserer von psychischen Belastungen geprägten Arbeits- und Lernwelt ist die besondere Fähigkeit des Menschen, Krisen und schwierige Lebensverhältnisse zu bewältigen und gestärkt wieder ins Leben zu treten, gefragter denn je. Aber ist unsere Fähigkeit, resilient zu sein, ein „Allheilmittel“? Gemeinsam mit dem Stressforscher Omar Hahad setzen sich Donya Gilan und Isabella Helmreich ebenso kritisch wie erkenntnisreich mit dem Phänomen der Resilienz und ihren historischen wie aktuellen gesellschaftlichen Implementierungen auseinander.

 

Sie geben einen Einblick in die Geschichte der Resilienzforschung und schildern den aktuellen Forschungsstand, sie stellen das unglaubliche Potenzial der Resilienz ebenso dar wie deren Grenzen. Ob aus psycho­logischer oder medizinischer oder soziologischer Perspektive: Bei allen Untersuchungen steht ein dezidiert interdisziplinärer Ansatz im Fokus. Ein umfassender Überblick über die vielfältigen Aspekte der Resilienz aus erster Hand. Dr. Donya Gilan ist Psychologin und leitet gemeinsam mit Dr. Isabella Helmreich, Psychologische Psychotherapeutin, den Bereich „Resilienz und Gesellschaft“ des Leibniz-Instituts für Resilienzforschung in Mainz.
Dr. Omar Hahad ist Stressforscher am Zentrum für Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz.

Herder Verlag, 208 Seiten, 22 Euro

 

Text: Matthias Gaul