Freitag, 19 April 2024

Hilfe! Ich bin einsam!

Einsamkeit ist ein Makel – und trotzdem längst ein Massenphänomen.

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Foto: © Artem Furman – stock.adobe.com

Wo hört Alleinsein auf und wo fängt Einsamkeit an? Wir alle brauchen zwischendurch Zeit für uns, ein wenig Ruhe, um mal abschalten zu können. Mit sich selbst alleine sein und die Gedanken aushalten zu können, dazu gehört schon ein bisschen mehr. Immer wieder gibt es Phasen im Leben, in denen wir einfach mal alleine sein müssen. Für Stunden, Tage oder auch Wochen. Einfach, weil wir uns darüber klar werden wollen, wie es in unserem Leben weitergeht. In diesem Fall empfinden wir das Alleinsein eher als Befreiung denn als Belastung. Wo also liegt der Unterschied zwischen Alleinsein und Einsamkeit? „Einsamkeit ist gleichzusetzen mit Selbstzweifeln“, sagt Claudia Stöckle. Die Trainerin betreibt eine Coaching-Praxis in Arnsberg-Neheim. „Man fühlt sich einsam, weil man sich selbst fremd geworden ist. Selbstbewusstsein bedeutet schließlich auch, sich seiner selbst bewusst zu sein. Menschen, die einsam sind, wollen nicht hinschauen, welche Probleme sie haben, und wollen auch nicht, dass andere den Finger in ihre Wunden legen.“ 

 

Sprechen wir hier von Einzelfällen? Nein! „Einsamkeit breitet sich in Deutschland aus wie eine Epidemie“, titelte kürzlich der Tagesspiegel. Experten sprechen von einem Megatrend. Diplom-Psychologin Claudia Tölle aus Soest sieht darin ein Phänomen unserer Zeit. „Früher war klar: Wir kommen in einem Dorf zur Welt und sterben dort auch. Das ist heute nicht mehr so. Die Notwendigkeit, viele Entscheidungen zu treffen, führt viele Menschen in die Isolation.“ Daraus entwickelt sich ein völlig neues Kennenlern- und Beziehungsverhalten. Es werden Online-Beziehungen geführt, nach dem man sich über Facebook oder Dating-Portale kennengelernt hat. „Wir verstecken uns in dieser Online-Welt. Aber Beziehungen kann man nun mal nur führen, wenn man das im richtigen Leben auch gelernt hat“, weiß die Psychologin. Letzten Endes ist der Mensch nun mal ein Herdentier. Das Alleinsein bekommt uns auf die Dauer nicht. 

 

Einsamkeit – die unerkannte Krankheit

Wer jetzt denkt, Einsamkeit geht nur die über 17 Millionen Singles in Deutschland etwas an, der irrt. Das Problem betrifft auch Menschen in Paarbeziehungen, die sich zwar einsam fühlen, aber nicht den Mut aufbringen, sich zu trennen. „Diese Menschen sind längst alleine“, sagt Claudia Stöckle. „Deshalb haben sie Angst davor. Da hilft nur, das eigene Selbstwertgefühl zu stärken. Jemand, der sich nur über seinen Partner stark fühlt, für den bricht alles weg, wenn dieser nicht mehr da ist. Es geht also darum, mit sich selbst zurechtzukommen.“ 

 

Der Ulmer Psychiater Manfred Spitzer geht in seinem Buch „Einsamkeit – die unerkannte Krankheit“ noch weiter. Er vertritt die These, dass Einsamkeit zu Krebs, Herzinfarkt, Schlaganfall, Depressionen oder auch Demenz führen kann. Nachvollziehbar, finden sowohl Claudia Stöckle als auch Claudia Tölle: „Stress und sich ausgeliefert fühlen macht krank.“ Beide finden aber auch: „Einsamkeit kann aber auch eine Chance sein. Sie zeigt, dass wir uns verändern müssen.“ 

 

Und genau darum geht es: um uns selbst. Die Anmeldung im Fitnessstudio mit dem Ziel, Kontakte zu knüpfen, bringt nichts, wenn wir uns mit uns selbst nicht wohlfühlen. Wir werden dann zwar eine Weile zum Sport gehen, aber darauf hoffen, lieber doch nicht wahrgenommen zu werden. Der Erfolg bleibt aus. Erst mal müssen wir unsere Körpersprache verändern, eine gerade Körperhaltung haben, den Blick geradeaus richten. Allein das hilft schon, den Gemütszustand zu verändern. Claudia Stöckle hilft ihren Kunden dabei, darüber hinaus positive Glaubenssätze zu entwickeln. „Wir haben für uns selbst die Verantwortung. Wenn wir Kontakt möchten, brauchen wir das Selbstbewusstsein, auf andere Menschen zuzugehen.“ 

 

Gar nicht so leicht. Auf dem Weg dahin gibt es auch eine ganz einfache, aber wirkungsvolle Methode: ehrenamtliches Engagement. Psychologin Claudia Tölle rät: „Wenn man sich wertlos fühlt, und das Gefühl haben möchte, gebraucht zu werden, hilft es, sich ehrenamtlich, für Nachbarn oder Kollegen zu engagieren. Auf diese Weise lernt man, sich selbst wieder zu schätzen – und andere schätzen dich auch.“

Erschienen in: TOP MAGAZIN SAUERLAND 2/2018